
Aus dem Buch Thailand Fieber
www.thailandfever.com
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
Aus dem Buch „Thailand Fieber“ – ein Wegweiser
für Thailändisch-Westliche Beziehungen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren Chris
Pirazzi und Vitida Vasant ISBN 978-1-887521-50-5
Das Buch ist in deutsch – und jeweils auf der
ungeraden Seite in Thai verfasst.
Kommentar Phuket Gazette: Wenn ihr ein
thailändisch-westliches Paar mit
Heiratsabsichten kennt, gebt
ihnen dieses Buch. Wenn ihr schon verheiratet
seid, lest es selbst.
Das Buch ist derzeit vergriffen und wird
möglicherweise in elektronischer Form neu
aufgelegt.
Informationen http://www.thailandfever.com
Thailändische Werte (das Thailändische
Sozialsystem)
Schon nach wenigen Wochen in Thailand bemerken
wir Westler schnell, dass sich hinter dem
strahlenden Lächeln,
den leichtfertigen Dispositionen, McDonalds
Restaurants und Nike-Klamotten, ein uns
unbekanntes Universum verbirgt.
Was geht hier wirklich vor sich?
Grosszügigkeit (Naam-jai)
Es beginnt alles mit Naam-jai, wörtlich
“Saft des Herzens” oder “Fluss des Herzens”.
Während Unabhängigkeit den Kern des westlichen
Selbstwertgefühls und Images darstellt,
beurteilen Thailänder sich
selbst und Andere in der thailändischen
Gesellschaft danach, wie viel Naam-jai der
Betreffende zeigt. Naam-
jai bedeutet “Grosszügigkeit”, den Wunsch,
Anderen etwas von der eigenen Zeit, den eigenen
Ressourcen
sowie Aufmerksamkeit zu schenken, nur um des
guten Gefühls willen, welches in diesem Falle
bei den
Beteiligten erzeugt wird. Eine Person, die
Naam-jai zeigt, wird nicht nach Geld oder einer
anderen Art der
Bezahlung im Austausch für ihre Grosszügigkeit
fragen. Ein Thailänder wird sich im Gegenteil
sogar unwohl
dabei fühlen, eine Bezahlung für seine
Grosszügigkeit anzunehmen, weil das so aussehen
würde, als wenn er
der anderen Person gegenüber nicht aus gutem
Willen, sondern der Bezahlung wegen grosszügig
war.
Thailänder beweisen Naam-jai auch jedes Mal,
wenn sie Besorgnis über das Wohlergehen einer
andern
Person zeigen. Wenn Thailänder also Naam-jai an
den Tag legen, erwarten sie keine direkte
Rückerstattung
von der Person, der sie geholfen haben, aber sie
glauben, dass grosszügiges Denken und Handeln
auf lange
Sicht hin belohnt werden wird. Diese Denkweise
ist teilweise vom Buddhismus beeinflusst.
In kleinen ländlichen Bauerndörfern zum Beispiel
wird eine Familie, die Fische aus ihrem Teich
oder die
Ernte einer reifen Feldfrucht einbringt, diese
mit ihren Nachbarn teilen, und zwar
selbstverständlich ohne
nach einer Bezahlung zu fragen. Viele Dörfer
praktizieren sogar ein System der gemeinsamen
Ernte (long-
kèek), wobei die gesamte Dorfgemeinschaft jedem
Einzelnen bei seiner Ernte zur Seite steht. Wenn
die
Arbeit getan ist, wird auch hier von den
jeweiligen Landbesitzern keine Bezahlung
erwartet, auch nicht von
Bauern, deren Felder viel grösser sind als die
der Anderen und deshalb mehr Arbeit erfordern.
Die
Dorfbewohner tun die Arbeit aus Naam-jai heraus
und wollen dies auch demonstrieren.
Thailänder werden auch ohne weiter darüber
nachzudenken oder darüber zu reden alles stehen
und liegen
lassen, wenn es darum geht, einer verwaisten
Nichte oder ebensolchem Neffen zu Hilfe zu
kommen (oder gar
einem Kind, das nicht mit ihnen verwandt, ihnen
aber bekannt ist), indem sie das Kind dauerhaft
als ihr
eigenes bei sich aufnehmen. Sie heissen auch
gerne jeden erwachsenen Verwandten bei sich im
Hause
willkommen, der über keine eigene Unterkunft
verfügt, ohne je nach Miete zu fragen oder
danach, wie lange
der Betreffende zu bleiben beabsichtigt. Solche
Fälle kommen natürlich auch im Westen vor, aber
sehr viel
seltener. Ein neues Mitglied, insbesondere einen
Erwachsenen, in den eigenen Haushalt
aufzunehmen,
bedroht des Westlers höchste Werte. Er wird
Gedanken wie die folgenden hegen:
- „Eine fremde Person in meinem Haus? Was ist
mit meiner Privatsphäre?”
- „Er sollte besser lernen, auf seinen eigenen
Füssen zu stehen, anstatt mir zur Last zu
fallen.“
- „Das ist sein Problem, nicht meines”
- „Das ist unfair; er nützt mich aus.“
- „Wie wird er diesen riesengrossen Gefallen
jemals' erwidern können?”
Thailänder hegen zwar ähnliche Gedanken, aber
der Wert der Grosszügigkeit ist so stark
ausgeprägt, dass er
die Werte Unabhängigkeit, Privatleben und
Fairness mehr als wettmacht. Es ist daher
wahrscheinlich, dass
Thailänder ein neues Mitglied in ihrem Haushalt
schlichtweg aus Mitleid aufnehmen werden. Aus
dem
gleichen Grund fragen sich Thailänder auch: “Wo
um alles in der Welt sind die Verwandten der
Heimatlosen,
die in den westlichen Städten umherwandern?”
Falls sie nicht gerade ausgenommen
kosmopolitisch sind,
werden die Thailänder, denen du begegnest, davon
ausgehen, dass du so bist wie sie, und dass auch
du
deshalb dein Selbstwertgefühl überwiegend daraus
beziehst, dass du Naam-jai zeigst.
Lass uns zum Beispiel einmal annehmen, dass
deine Freundin stolz auf dich ist und dich als
grosszügige
Person herumzeigen will. Ohne dich direkt zu
fragen, wird sie dir Gelegenheit geben, dich als
grosszügig zu
erweisen. Sie könnte dich beispielsweise zu
einem Abendessen mit Freunden mitnehmen. Sie
wird nicht
etwa sagen, “Pii Bob, würde es dir etwas
ausmachen, für meine Freunde mitzubezahlen?”
Statt dessen wird
sie annehmen, dass du als jemand, der mehr Geld
als ihre Freunde besitzt, deine Grosszügigkeit
dadurch
wirst beweisen wollen, dass du für all ihre
Freunde mitbezahlst.
Oder sie nimmt dich mit zu einem Einkaufsbummel
mit der Familie, oder aber erwähnt einen
Verwandten,
der ein Darlehen benötigt, in der Hoffnung, dein
Mitleid zu erregen, und überlässt es dann dir,
dein Naam-jai
unter Beweis zu stellen. Wir Westler hassen
diese Art von Benehmen. Für uns ist das nicht
mehr als
schamlose Manipulation. Sieht sie dich denn als
ihren “Zucker-Daddy” an oder was?
Denk daran, dass es in den Augen eines
Thailänders einem Menschen Selbstwertgefühl
verleiht, sich
grosszügig zu zeigen. Deine Partnerin und ihre
Familie versuchen nicht etwa, dich auszunützen.
Sie
verhalten sich vielmehr genau so, wie es bei
einem thailändischen Mann, von dem sie denken,
dass er fähig
und Willens ist, der Familie zu helfen.
Im Normalfall wird ihre Familie ärmer sein als
deine, und du bist dir darüber im Klaren, dass
sie niemals in
der Lage sein wird, dir auch nur annähernd so
viel zurückzubezahlen, wie du bereits für sie
geblecht hast. Sie
werden deine Grosszügigkeit aber tatsächlich
immer in Erinnerung behalten. So mancher
Westler, der
tagtäglich mit der Frage ringt, ob er nun ein
“Zucker-Daddy” ist oder nicht, wird in höchstem
Masse
überrascht sein, wenn der Spiess einmal
umgedreht wird, und er sich am empfangenden Ende
von Naam-jai
wiederfindet, das heisst, wenn er von seiner
Partnerin oder ihrer Familie Grosszügigkeit und
Fürsorge auf
nie erwartete Art und Weise erfährt. Wir werden
uns mit dieser komplexen Thematik in Kapitel 5,
“Geld und
Unterhalt”, noch eingehender befassen und einige
spezifische Beispiele kennenlernen.
Wir Westler lernen von Geburt an, dass wir in
einer gnadenlosen Welt leben, in welcher “das
Leben nicht fair
ist”, dir niemand einen Gefallen tut und du für
dich selbst sorgen musst. Es ist für uns kaum zu
glauben, dass
eine funktionsfähige Gesellschaft existiert, in
welcher das Geben mehr Wert besitzt als die
eigene
Unabhängigkeit oder der eigene materielle
Erfolg. “Bisher sehe ich in dieser Beziehung
ausschliesslich mein
Geld den Bach herunterschwimmen. Wo ist die
Garantie, dass ich je etwas davon zurückbekommen
werde?”
Sam-nük-bun-khun: Schulden ehren thai-style
Was eine Gesellschaft, die auf Naam-jai
basiert, überlebensfähig macht, ist das
bun-khun-System,
insbesondere der Wert des Sam-nük-bun-khun.
Sam-nük-bun-khun ist das ausgleichende Element,
welches
das System zum Funktionieren bringt. In gleichem
Masse, in welchem der Westler zur Unabhängigkeit
erzogen wird, werden Thailänder (und viele
andere Asiaten) von Kindheit an zum
Sam-nük-bun-khun
erzogen. Vereinfach ausgedrückt bedeutet
Sam-nük-bun-khun, dass man einen Gefallen
erwidert, den
andere Menschen einem erwiesen haben (westlich
ausgedrückt: Schulden ehren). Es geht dabei aber
um
mehr als das. Nehmen wir einmal an, dass Lek,
leitender Angestellter der Firma ABC, seinem
alten Freund
Gung einen Gefallen tut, indem er ihm einen Job
bei seiner Firma verschafft.
Gung wurde zum Sam-nük-bun-khun erzogen und wird
daher
1. sich dazu verpflichten und dafür zur
Verfügung stellen, Leks Gefallen zu erwidern,
wenn dieser etwas braucht.
2. Leks Grosszügigkeit (Naam-jai) ehren, indem
er ihm Respekt, Achtung und Rücksicht in Wort
und Tat erweist.
3. sich selbst gelegentlich sowohl an Leks
grosszügiges Handeln sowie an seine eigene
Verpflichtung, den Gefallen zu erwidern,
erinnern.
Lass uns den Vorgang im Detail untersuchen:
1. Gung geht eine Verpflichtung Lek gegenüber
ein und stellt sich zur Verfügung, wenn Lek
etwas benötigen
sollte. Rufe dir in Erinnerung, dass Lek seine
Grosszügigkeit (Naam-jai) bewiesen hat, indem er
Gung zu
einer Arbeitstelle verholfen hat, ohne dafür von
Gung eine Gegenleistung verlangt zu haben. Gung
wird nun
die erstmögliche Gelegenheit ergreifen, Lek zu
helfen, auch wenn es sich dabei um etwas
handelt, was Gung
eigentlich ungern tut. Wenn Lek beispielsweise
Gung später danach fragen wird, ob er nicht ein
paar
unbezahlte Überstunden am Wochenende machen
könne, wird Gung dies freudig bejahen. Gung wird
vielleicht sogar von sich aus einen Weg suchen,
Lek bei seiner Arbeit zu unterstützen, auch wenn
dieser ihn nicht darum gebeten hat.
Die Verpflichtung, einen Gefallen
zurückerstatten zu müssen, gewährleistet für Lek
und andere Thailander,
die Naam-jai zeigen, dass ihr Gefallen in
irgendeiner Form erwidert werden wird. Die
aktuelle Gelegenheit
für diese Erwiderung mag sich tatsächlich
vielleicht nie ergeben, aber wichtig daran ist,
dass die
Verpflichtung vorhanden ist. Aus diesem Grund
können sich Eltern in der thailändischen
Gesellschaft auch
mit ziemlicher Sicherheit darauf verlassen, dass
die Kinder, die sie grossgezogen haben, später
im Alter für sie sorgen werden.
Gung ehrt Leks Grosszügigkeit (Naam-jai), indem
er ihm Respekt, Achtung und Rücksicht in Wort
und Tat
erweist. Da Grosszügigkeit nach thailändischer
Ansicht den höchsten Wert darstellt, wird Gung
nicht nur
seine Schuld Lek gegenüber ehren, sondern auch
Lek selbst. So wird er beispielsweise immer sehr
höfiich
sein, wenn er mit Lek spricht, diesem den besten
Platz an seinem Tisch zuweisen, über Fehler, die
Lek
vielleicht macht, hinwegsehen, und es vermeiden,
Leks Gefühle zu verletzen oder ihm zu
widersprechen, vor allem in der Öffentlichkeit.
Gung erinnert sich gelegentlich an Leks
grosszügiges Handeln sowie an seine
Verpflichtung, den Gefallen zu
erwidern. Das ist derjenige Aspekt am
Sam-nük-bun-khun, den wir Westler am
allerwenigsten verstehen. Da
wir nach Unabhängigkeit streben, geht uns die
Idee, eine unbezahlte Schuld mit uns
herumzutragen, gegen
den Strich, erzeugt vielleicht sogar
Schuldgefühle. Wir werden die Begegnung mit
einem Freund, dem wir
etwas schulden, vielleicht sogar meiden. Wir
ziehen es vor, unsere Schulden zu bezahlen und
dann nicht
mehr darüber nachzudenken. Wenn uns dann jemand
vorwirft, eine Schuld vergessen und nicht
bezahlt zu
haben, bezeichnen wir das als “Schuldgefühle
einflössen”, was wir als uns gegenüber unfair
ansehen.
Für Thailänder dagegen ist dieser Akt nicht mit
negativen Gefühlen verbunden. Da sie die Welt
lieber als ein
Netz gegenseitiger Abhängigkeiten betrachten als
eine zufällige Anordnung unabhängiger
Individuen, finden
sie es ganz natürlich, dass Menschen vom Tag
ihrer Geburt an mit einer Vielzahl ausstehender
Schulden
leben! Gung zum Beispiel glaubt, dass es richtig
ist, sich an seine Schulden Lek gegenüber zu
erinnern, da ihn
dies auch daran erinnert, dass Lek sich um ihn
sorgt. Gung steigert sein Selbstwertgefühl
dadurch, dass er
Lek ehrt und sich diesem gegenüber zur
Erwiderung des Gefallens verpflichtet fühlt.
Sam-nük-bun-khun ist ein so fundamentaler
Bestandteil der thailändischen Kultur, dass das
Konzept oft
dazu benützt wird, Leute zu etwas zu motivieren.
Wenn beispielsweise ein Tempel eine
Veranstaltung
abhält, die den Zweck hat, finanzielle Mittel
für den Tempel zu sammeln, werden die
Organisatoren die
Besucher daran erinnern, in welcher Form diese
von dem Tempel und seinen Einrichtungen in der
Vergangenheit profitiert haben
(Eheschliessungen, Bestattungen usw.), um sie
dazu zu bewegen, nun
ihrerseits den Tempel zu unterstützen. Für uns
Westler handelt es sich auch hier eher um das
Einflössen von
Schuldgefühlen, während Thailänder dem positiv
gegenüberstehen.
Ein weiteres Beispiel dafür finden wir in
Schlagworten, Schriftzügen und Liedern, die zur
Motivierung junger
gesellschaftlicher Aktivisten eingesetzt werden.
Nehmen wir an, es geht um eine Kampagne für die
Rechte
der Farmer. Im Westen würde das wahrscheinlich
so aussehen: “Unterstützt jetzt das Projekt
“Hilfe für
Farmer”! Jeder Einzelne zählt!” Dies stellt im
weitesten Sinne eine Erweiterung des westlichen
Konzeptes
von Unabhängigkeit dar. Thailändische Aktivisten
werden sich dagegen eher von einer Rhetorik
bewegen
lassen, die sie an ihre Schuld gegenüber den
Farmern erinnert, welche den Reis anbauen, der
sie ernährt,
eine Erweiterung von Sam-nük-bun-khun
Die thailändische Gesellschaft bildet einen
Kreislauf von Naam-jai und Sam-nük-bun-khun.
Menschen
erweisen einander Gefallen aus Naam-jai heraus
und fragen daher nicht nach einer Erwiderung des
Gefallens. Aber diejenigen, denen ein Gefallen
erwiesen wird, erinnern sich an ihre Schuld (Sam-nük-bun-
khun) und stellen sich freiwillig für eine
Erwiderung des Gefallens zur Verfügung. Das
System funktioniert
und die Gesellschaft ist stabil, einfach, weil
die überwiegende Mehrheit aller Thailänder das
System in Ehren
hält und seine Schulden zurückzahlt! Ein
thailändisches Kind, dem Sam-nük-bun-khun in der
Schule
vermittelt wird, braucht sich nur in seiner
Umgebung umzusehen, um festzustellen, dass das
System
tatsächlich existiert und gute Taten in der
Regel zu einem zurückkehren.
Ein abschliessendes Beispiel zur
Veranschaulichung der Aussagen dieses
Abschnittes: Nehmen wir an, Gung
leistet an ein oder zwei Wochenenden Überstunden
was ungefähr dem Zeitaufwand entspricht, den Lek
darauf verwandt hat, ein Empfehlungsschreiben
für Gung aufzusetzen und ihm den Job zu
verschaffen.
Angenommen nun, Lek verlangt von Gung, dass er
noch an vielen anderen Wochenenden Überstunden
machen soll. Wenn Gung Westler wäre, würde ihn
das verärgern. Er würde denken: „Moment mal! Ich
habe
meine Schuld bezahlt - genug ist genug! Das ist
jetzt Leks Problem und nicht meines. Jetzt nützt
er mich
wirklich aus.” Aber Gung ist Thailänder und wird
daher an so vielen Wochenenden wie irgend
möglich
erscheinen, da auch er sein Naam-jai gegenüber
Lek zeigen will. Gung glaubt fest daran, dass
Lek ebenso
auch Gungs gute Taten erwidern wird, wenn sich
das Gleichgewicht zu seinen Gunsten verschieben
sollte.
Gàt-dtan-yuu: Das ultimative Sam-nük-bun-khun
Das ultimative Sam-nük-bun-khun heisst
Gàt-dtan-yuu und bezeichnet ein Gefühl jemandem
gegenüber, der
einen unvergleichlichen Beitrag zu deinem Leben
geleistet hat. In der thailändischen Kultur
schliesst das
deinen Vater, deine Mutter und deine Lehrer
definitiv ein. Es kann sich aber auch auf andere
Personen
erstrecken, denen gegenüber du dich gewaltig in
der Schuld fühlst, wie beispielsweise einen
Arzt, der dich
operiert und dein Leben gerettet hat.
Gàt-dtan-yuu ist eine sehr ernste Angelegenheit.
Es gibt sogar ein thailändisches Sprichwort, dem
zufolge
Menschen, die solche unfassbar wertvolle
Beitrage leisten, dadurch unverwundbar gegenüber
Feuer oder
Wasser werden. Diejenigen, die Gàt-dtan-yuu
nicht ehren oder gar anderen Menschen, die ihnen
viel Gutes
getan haben, Schaden zufügen, nennt man
nee-rá-kun. Thailänder sehen solches Verhalten
als zutiefst
schändlich an. Viele religiöse Thailänder
betrachten es gar als die grösstmögliche Sünde.
Wir hören in der
westlichen Welt gelegentlich von Fallen, in
denen Kinder ihre Eltern missbraucht oder gar
getötet haben. Für
einen Thailänder ist es unmöglich zu glauben,
dass ein Kind seinen Eltern so etwas antun
könnte. Ihre
gesamte Kindheit hindurch werden Kinder immer
und immer wieder daran erinnert, welche Opfer
ihre Eltern für sie bringen.
So wird jedem thailändischen Kind vorgehalten
werden, welche Schmerzen seine Mutter zum
Beispiel
während der Schwangerschaft erleiden oder wie
hart sie nach der Geburt arbeiten musste, um für
ihr Kind
sorgen zu können. Deshalb sind Thailänder mit
ihren Eltern sehr geduldig und nachsichtig, auch
dann, wenn
ein Elternteil aufgrund von hohem Alter,
Krankheit, Alkoholismus oder einfach nur Wut die
Kontrolle über sich verlieren sollte.
Im Westen ist das eigentlich ähnlich, nur
umgekehrt. Von westlichen Eltern wird erwartet,
dass sie ihren
Kindern bedingungslose Liebe entgegenbringen.
Sie können ihre Kinder zwar massregeln, aber es
wird als
Teil ihrer elterlichen Pflicht angesehen, dass
sie sich jedes Fehlverhalten und jede
Respektlosigkeit von ihren
Kindern gefallen lassen. Dieses westliche
Konzept stösst bei Thailändern auf Verwunderung.
Warum sollten
Eltern ihren Kindern gegenüber verpflichtet
sein, wo sie es doch waren, die den Kindern das
Leben
geschenkt und sie aufgezogen haben?
Der Grund ist, dass Westler nicht über das
Konzept von Gàt-dtan-yuu verfügen. Den Eltern
wird die Auflage
gemacht, sich fair gegenüber ihren Kindern zu
verhalten. Die westlichen Eltern fühlen sich
genauso dafür
verantwortlich, ihre Kinder nicht “im Stich zu
lassen”, wie sich die thailändischen Kinder
dafür
verantwortlich fühlen, sich um ihre Eltern zu
kümmern. “Es ist schliesslich nicht so, dass
unser Kind es sich
ausgesucht hat, geboren zu werden“, werden die
westlichen Eltern denken, “deshalb wäre es
unfair von uns,
ihm ständig damit auf die Nerven zu fallen, wie
viel Arbeit es war, es gross zu ziehen. Wir
werden das Kind
am Ende noch mit Schuldgefühlen beladen. Was für
schlechte Eltern wären wir dann?”
Thailändische Kinder, welche die Verantwortung
des Gàt-dtan-yuu akzeptieren, haben das
Verlangen, ihre
Eltern zu unterstützen und ihnen zu
Zufriedenheit und Glück zu verhelfen. Falls dies
so nicht möglich sein
sollte, werden sie es zumindest vermeiden
wollen, Probleme für ihre Eltern zu verursachen
oder diese
öffentlich in Verlegenheit zu bringen.
Du wirst den Stellenwert, den das Gàt-dtan-yuu
in der thailändischen Gesellschaft einnimmt,
akzeptieren
und zu schätzen lernen müssen. Du musst
sicherstellen, dass die Beziehung zu deiner
Freundin niemals mit
diesem Ziel in Konflikt gerät; sonst wirst du
mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit den
Kürzeren ziehen. Es
ist wichtig für eure Beziehung, dass du von
Anfang an Verständnis für Gàt-dtan-yuu und all
seine
mannigfaltigen subtilen Implikationen
aufbringst. Schliesslich werden ihre Eltern
wahrscheinlich eines
Tages bei dir einziehen. Die komplette
Geschichte hierzu findest du in Kapitel 4, “Die
Eltern“.
Höherer und niedrigerer gesellschaftlicher
Rang
Wie denkst du darüber, wenn jemand nur
aufgrund seines Alters, seines Berufs, seines
ererbten Reichtums
oder der Familie, in die er hineingeboren wurde,
mit Respekt überschüttet wird. Wenn du so denkst
wie die
meisten anderen Westler, wirst du wahrscheinlich
nicht der Ansicht sein, dass die betreffende
Person deinen
Respekt verdient, es sei denn, du lernst diese
Person kennen und findest etwas an ihr, womit
sie sich diesen
Respekt tatsächlich selbst verdient hat.
Was, wenn dein Chef auf der Arbeit, dein Lehrer
in der Schule, ein Polizeibeamter oder deine
Schwiegermutter zu Hause dich herablassend
behandelt, dich ausschliesst oder ignoriert, was
du sagst?
Falls du nicht gerade beim Militär bist, wird es
dich mit höchster Wahrscheinlichkeit immer
ärgern, wenn
dich jemand so behandelt, als nehme er eine
höhere Position ein. Es wird dir wahrscheinlich
sogar
unangenehm sein, wenn jemand Anderes sich vor
dir verbeugt und zu dir aufschaut. Diese
Szenarien, die wir
Westler am ehesten unter den negativ belasteten
Begriffen “Blinder Respekt” oder “den Rang
herauskehren”
zusammenfassen, sind für einen Thailänder völlig
normal.
Das geht soweit, dass viele Thailänder in der
Tat davon überzeugt sind, Teil eines natürlichen
und für alle
vorteilhaften Systems zu sein, das der gesamten
Gesellschaft ihren Zusammenhalt verleiht. Ob es
dir gefällt
oder nicht, das gesamte thailändische Universum
ist strikt hierarchisch aufgebaut. Jede Person
nimmt einen
bestimmten Rang gegenüber anderen Personen oder
Personengruppen ein, auch, wenn diese Ränge
nicht
fest umrissen sind. Das geht soweit, dass sogar
manche Gegenstände einen Rang gegenüber anderen
Gegenständen einnehmen.
Von Kindheit an wird Thailändern beigebracht,
Personen höherer Kategorien Respekt zu erweisen.
So
verneigt man sich (Wâai) beispielsweise vor
seinen Eltern, älteren Familienmitgliedern,
Lehrern, Mönchen,
Mitgliedern der königlichen Familie - auch, wenn
einem diese persönlich gar nicht bekannt sind -
um ihre
Rolle als Erzieher, Vermittler von Wissen und
Moral oder hinsichtlich an derer Beiträge zur
Gesellschaft zu würdigen.
Dieser Sinn für Hierarchie ist in der
thailändischen Gesellschaft tief verwurzelt.
Hoch und niedrig, vorgesetzt
und untergeben durchdringt sowohl Sprache als
auch Kultur. Für Thailänder ist das ganz
natürlich, aber du
als Westler wirst dich daran gewöhnen müssen, da
es sich auf die Art und Weise auswirkt, wie du
die
Familienmitglieder deiner Partnerin
beziehungsweise deine Bediensteten und sogar
deine Kinder behandeln
solltest. Wie wir weiter unten noch sehen
werden, kann man auf Thailändisch nicht einmal
“ich”, “du”, “er”
oder “sie” sagen, ohne sich einer übergeordneten
oder einer untergeordneten Position zuzuordnen.
Selbst Körperteile besitzen eine Rangordnung.
Der höchste Teil des Körpers, der Kopf, wird als
der heiligste
Teil angesehen, und es wird einem Thailänder
unangenehm sein, wenn du seinen Kopf berührst
oder auf
einem Kissen sitzt, das eigentlich für den Kopf
bestimmt ist. Der niedrigste Körperteil, die
Füsse, werden als
Basis angesehen, und es gilt als sehr anstössig,
mit ihnen auf Dinge oder Personen zu zeigen.
Auch leblosen
Dingen wird in der thailändischen Welt ein Rang
zugeordnet. So wird ein Thailänder
beispielsweise nicht ein
paar Schuhe auf einen Stapel Bücher stellen, da
die Schuhe als “niedrig” und die Bücher als
“hoch” eingestuft
werden. Aus dem gleichen Grund wird der
Thailänder es auch vermeiden, unter einer
Wäscheleine
hindurchzulaufen, an der Socken oder Unterwäsche
hängen.
Noch ein wichtiges Stück Etikette: Wenn deine
Freundin sich in der Nähe ihrer Schwiegereltern
oder älterer
Familienmitglieder aufhält, wird sie darum
bemüht sein, ihren Kopf auf niedrigerer oder
allerhöchstens
gleicher Höhe mit deren Köpfen zu halten. Zu
diesem Zwecke wird sie sich vielleicht setzen,
eventuell auch
auf den Boden (falls ihre Verwandten auf Stühlen
sitzen), oder sich beim Sitzen oder Stehen
ducken. Du
solltest ihren Verwandten gegenüber ähnliche
Zeichen der Achtung zeigen (auch wenn manche
Verwandte
das von dir als Westler vielleicht gar nicht
erwarten).
Dies bringt uns Westler allerdings in ein
scheinbares Dilemma: Viele von uns überragen die
Verwandten
unserer Freundinnen sogar dann noch, wenn wir
sitzen. Wie können wir also dieser Anforderung
gerecht
werden? Die Antwort ist, dass es die Geste der
Ehrerbietung ist, die zählt. Wenn die Verwandten
sehen, dass
wir uns anstrengen, ihnen Respekt zu erweisen
(indem wir zum Beispiel auf dem Boden sitzen,
oder, um den
Punkt nach Hause zu bringen, kurz den Kopf
neigen), werden sie auch dann überglücklich
sein, wenn dein
Kopf höher ist als ihrer. Was auch immer du
tust, falls du sehr gross bist, stehe niemals
direkt neben einem
deiner Verwandten und sprich von oben zu ihm
herunter. Wenn du jemanden steil zu dir aufsehen
lässt,
wird er sich gedemütigt fühlen, dies
wahrscheinlich aber nicht zeigen, da er als
Thailänder stets darum
bemüht sein wird, Konfrontation zu vermeiden.
Tritt einfach einen Schritt zurück, setz dich
hin, duck dich
oder knie als Zeichen deines Respekts.
Ein thailändisches Wort, dass Männer für “ích”
verwenden, wenn sie respektvoll sprechen, ist
phom, und das
ist ausserdem auch das Wort für “Haare”: Du
musst dir einen Thailänder vorstellen, der vor
den König
kriecht (wie das vor nur einhundert Jahren noch
üblich war) und dabei seine Haare immer
unterhalb der
Füsse des Königs halten muss, als Zeichen des
ultimativen Respekts; Obwohl das Wort heute in
allgemeinem
Gebrauch ist, haftet ihm doch weiterhin die Idee
des “hoch-niedrig” an.
Titel und Ehrerbietung
Im Gegensatz zu grossen Teilen der
westlichen Welt, wo man ihnen eher mit
Misstrauen begegnet, sind Titel
und sichtbare Zeichen der Ehrerbietung
integraler Bestandteil der thailändischen
Sprache, Sitten und
Gewohnheiten. Thailänder verwenden Titel und
Ehrbezeugungen, um ihren Respekt vor Personen
höheren
Ranges zu bekunden. Das Niveau der Ehrerbietung
steigt sogar noch jemandem gegenüber, der einem
einen
Gefallen erwiesen hat; es stellt eine kleine
Gelegenheit dar, Sam-nük-bun-khun auszuüben, wie
von uns weiter oben beschreiben.
Wenn ein thailändisches Mädchen in seiner
Muttersprache spricht, bieten sich ihm jeweils
mehrere
Versionen der Fürwörter “ich”, “du”, “er”, “sie”
usw. an, die sie benützen kann, je nachdem, ob
sie sich ihrem
Gegenüber höher- oder tiefergestellt fühlt. Sie
wird für höhergestellte Personen die
respektvollen Pronomen
verwenden, sogar dann, wenn diese Person niemals
etwas für sie getan oder ihr gar böse Dinge
angetan hat.
Dies ist nicht etwa so, weil sie Strafe fürchten
müsste, wenn sie sich anders verhielte, sondern,
weil dann ihr Selbstwertgefühl leiden würde.
Eines der ersten Dinge, die dir auffallen, wenn
du Thailand bereist, ist der Wâai, die Geste mit
den gefalteten
Händen, die in der gesamten thailändischen
Gesellschaft zum Gruss, zum Dank und bei der
Verabschiedung
verwendet wird. Es braucht eine Weile, bis der
Westler bemerkt, dass der Wâai sehr viel mehr
als ein
gewöhnliches “Hallo” bedeutet. Unter
Gleichgestellten wird der Wâai gewöhnlich nicht
benutzt. Thailänder
verwenden den Wâai, um ihrer Verantwortung
Rechnung zu tragen, ihnen übergeordneten
Personen
Respekt zu erweisen, oder um jemandem
Dankbarkeit zu zeigen, der ihnen einen Gefallen
getan hat (um
Sam-nük-bun-kun auszudrücken, wie oben
beschrieben). So wird ein Thailänder
beispielsweise einen
Lehrer oder einen Mönch, den er vorher noch nie
gesehen hat, mit einem Wâai begrüssen, um dessen
Rolle
als Lehrer Ehrerbietung entgegenzubringen.
Lehrer und Mönche vermitteln den Menschen
wertvolles
Wissen und verdienen daher Respekt. Das Zeigen
von Ehrerbietung generiert zusätzliches Naam-jai
in der
übergeordneten Person, so dass diese weiter dazu
motiviert wird, etwas für die untergeordnete
Person zu tun.
Das System hält sich so selbst am Leben.
Einige Westler bekämpfen das thailändische
Rangordnungssystem und sehen darin eine Art
verdorbenen
Anachronismus, der “wegmodernisiert” werden
sollte. Obwohl man für beide Seiten Argumente
finden kann,
sollte man genau darüber nachdenken, ob es den
Menschen, für die man sich engagiert, mit oder
ohne den Aufruhr besser geht.
Niemals konfrontieren - immer Gesicht wahren
Ein sehr unwestlicher aber sehr wichtiger
Gesichtspunkt der thailändischen Kultur ist das
Wahren des
Gesichtes. Thailänder vermeiden es, jemand
Anderes Beweggründe (besonders die einer
übergeordneten
Person) oder das Ausmass seines Naam-jai zu
hinterfragen. Eine Thailänderin bezieht grosses
Selbstwertgefühl daraus, ein “kühles Herz” (jai-yen)
und eine respektvolle Haltung auch dann zu
bewahren,
wenn sie es mit jemandem zu tun hat, von dem sie
glaubt, dass er ihr absichtlich oder
unabsichtlich etwas
Schlechtes angetan hat. Schreien und mit den
Händen herumfuchteln im Falle einer
Auseinandersetzung
wird als beschämend angesehen: Thailänder selbst
greifen dazu als allerletztem Ausweg, und
Westler, die es
tun, rufen lediglich Abscheu hervor und
verlieren Punkte. Thailänder legen viel
grösseren Wert auf
Ordentlichkeit im Umgang miteinander sowie auf
die Aufrechterhaltung einer friedlichen
Oberfläche ihrer
Gesellschaft. Konfrontation zu vermeiden und das
Gesicht zu bewahren ist manchmal wichtiger als
die
Wahrheit zu sagen, was im Westen selten der Fall
ist.
Thailänder drücken die Tatsache, dass sie
jemanden nicht mögen, oft indirekt aus
typischerweise, indem sie
über diese Person klatschen und sich gegenüber
Dritten über diese beklagen (was in Ordnung ist,
da es sich
hierbei nicht um eine direkte Konfrontation
handelt). Wenn alles gut verläuft, wird eine
solche dritte Person
dann wiederum dem Betreffenden gegenüber
andeuten, dass er etwas falsch gemacht hat
(Thailänder nennen dies “zarte Rede”).
Nehmen wir beispielsweise einmal an, du
streitest dich mit deiner thailändischen Frau,
weil sie gerne Kinder
hätte, aber du denkst, dass es dazu noch zu früh
ist. Ihr habt die Angelegenheit privat
miteinander diskutiert,
aber es sieht so aus, als könntet ihr euch in
dieser Frage nicht einig werden. Eines Tages
werden dann
vielleicht ihre Tanten oder Kusinen mit einer
netten Unterhaltung an dich herantreten. Sie
werden zunächst
mit einem “small talk” über anscheinend
Belangloses beginnen, welcher sich dann langsam
aber sicher in
Richtung neugieriger Fragen und seltsamer
Kommentare darüber entwickelt, wie männlich und
viril du doch
bist. Dann erwähnen sie vielleicht, dass deine
Frau kürzlich einen üblen Migräneanfall hatte
und dass sie
davon überzeugt sind, dass die Ursache hierfür
Einsamkeit und Depression sein müsse.
Du wirst dir ein paar Dinge über ihre
Einstellung zu Fragen der Gesundheit sowie über
ihre grundsätzliche
Lebensphilosophie anhören müssen, und am Ende
kommt dann so etwas wie:
“Die Gesellschaft kleiner Kinder würde diese
Migräne sicherlich heilen. Ist ja nur eine Idee.
. .”
Die Worte sind durchweg positiv und
oberflächlich gesehen nicht konfrontierend, aber
dahinter verbirgt
sich für jeden offensichtlich die wirkliche
Botschaft, die durch die Kette weitergegeben
wurde, sowie der
Ursprung dieser Botschaft. Wenn dir dies
passiert, hast du vielleicht den Eindruck,
herablassend behandelt
zu werden. Es kommt dir vielleicht so vor, als
würden Aussenstehende in deine private Beziehung
eindringen. Du magst dann vielleicht sogar
wütend auf deine Frau sein wegen ihres Mangels
an Offenheit dir
gegenüber. Im Gegensatz dazu wird ein typischer
thailändischer Ehemann, ob er der Botschaft
positiv oder
negativ gegenüber steht, nichts Beleidigendes an
dieser Vorgehensweise finden. Für ihn sind die
Verwandten seiner Frau keine “Aussenseiter” und
der Privatbereich seiner Beziehung geht über die
blosse
Zweisamkeit zwischen ihm und seiner Frau weit
hinaus. Zumindest wird er es zu schätzen wissen,
dass seine
Frau und auch ihre Familie sich bemüht haben,
direkte Konfrontation sowie das Verletzen seiner
Gefühle zu vermeiden.
Manchmal wird sich eine thailändische Person
auch einfach dafür entscheiden, ihrer
Unzufriedenheit gar
keinen Ausdruck zu verleihen. Viele Westler
glauben, dass Probleme und Konflikte offen
behandelt werden
müssen, entweder, um zu einer Lösung zu gelangen
oder auch nur, um es loszuwerden! Viele
Thailänder
dagegen glauben, dass es sinnlos ist, sich zu
beschweren oder zu versuchen, Andere zu ändern.
Sie glauben,
dass es manchmal gesünder ist, Dinge einfach zu
akzeptieren, wie sie sind, und sich mit der Welt
in Frieden
zu befinden, und dass das Ärgernis langsam von
selbst verschwinden wird.
Das Streben nach Vermeidung von Konfrontation
hat offensichtliche Folgen für deine Beziehung:
Deine
Partnerin wird sehr zurückhaltend damit sein,
Probleme anzusprechen, deren Erwähnung ein
schlechtes
Licht auf dich werfen könnten, auch wenn ihr
beiden alleine miteinander seid. Sie wird
eventuell auch nicht
auf deine westlich geprägte Offenheit
vorbereitet sein. Westler greifen oft zu
Sarkasmus, um eine Situation
mit einem gewissen Streitpotential zu
entschärfen, aber dies würde einen Thailänder
schockieren und entnerven.
Erwartungsgemäss verhindert diese “frag nicht,
beschwer dich nicht”-Haltung, dass beide Partner
je
voneinander wissen werden, wie sich der jeweils
Andere fühlt. Ja, sie mag lächeln und immer
“Alles in
Ordnung” sagen, auch wenn sie innerlich
unglücklich ist. Du könntest dich eines Tages in
einem grossen
Dilemma wiederfinden, wenn diese aufgestaute
Unzufriedenheit überschwappt und ans Tageslicht
tritt. Die
Westler, deren sensationelle Fälle in den
populären Romanen dokumentiert sind,
hatten am Ende oft einen Teil ihrer Anatomie
weniger oder wurden gar tot aufgefunden.
Das muss wirklich nicht passieren, vor allem
dann nicht, wenn du dazu in der Lage bist, den
Ursprung der
Schüchternheit und Zurückhaltung deiner Freundin
bzw. deiner Frau zu verstehen. Wann immer du das
kleinste bisschen Zögern bemerkst, und sogar
manchmal, wenn du nichts bemerkst, solltest du
sie behutsam,
aber beharrlich fragen, ob alles in Ordnung ist.
Du musst ihr klar machen, dass du wirklich
wissen willst, wie
es ihr geht, und das du nicht gekränkt sein
wirst, egal was sie sagt. Du wirst ihr
letztendlich ihre wahren
Gefühle abringen können und solltest so in der
Lage sein, sie glücklicher zu machen.
Sie hat dir vielleicht bereits Signale
zugesandt, die du nicht bemerkt hast. Als
Westler bist du zweifellos
daran gewöhnt, erbarmungslos mit deiner
Körpergrösse, deinen behaarten Beinen usw.
aufgezogen zu
werden. Manchmal benutzt deine Freundin diese
Art von Spass (puut-Ien) als ein Mittel, dir
ihre
unterdrückten Gefühle auf eine Art und Weise
anzudeuten, die es euch ihrer Ansicht nach
beiden ermöglicht,
das Gesicht zu wahren. Thailänder nennen dies
“halb Spass, halb echt, (puut-tii-Ien-tii-jing).
Vorausgesetzt,
ihr unterhaltet euch für gewöhnlich in Englisch,
nennt sie dich vielleicht manchmal “stinky”
(deutsch:
stinkend) und beginnt nun, es sich immer öfter
so anhören zu lassen wie “stingy” (deutsch:
geizig),
gleichzeitig darüber lachend, als ob es nichts
bedeuten würde. Wenn der Spass anfängt, sich für
dich nach
Ernst anzuhören, dann beschäftigt sie vielleicht
etwas, und sie versucht, sich auf diese
einzigartige
thailändische Art und Weise verständlich zu
machen. Beachte den Hinweis und untersuche die
Angelegenheit ruhig, aber gründlich nach der
oben beschriebenen Methode.
Der Wunsch, Konfrontation zu vermeiden, und der
Wunsch, die Gefühle des Anderen zu
berücksichtigen
(greeng-jai), hat noch eine andere Auswirkung,
die dir jeden Tag auffallen wird. Immer, wenn
deine Geliebte
mit ihren Freundinnen irgendeine Art von
Gruppenausflug arrangiert, werden sie ein
albernes Spiel der
Ehrerbietung spielen, bei welchem sie umeinander
herumtanzen und zueinander sagen
- “Wie du willst.” - “Wann immer es dir passt.“
- “Erklär mir den Plan.”
Letztlich wird sich keiner der Beteiligten
wagen, einen Plan vor zuschlagen, aus Angst, den
Anderen
Unannehmlichkeiten zu bereiten. Zu dem geplanten
Ereignis kommt es dann manchmal gar nicht, oder
erst
spät, oder es wird etwas ganz Anderes daraus als
ursprünglich geplant. Die Thailänder überrascht
oder
frustriert das nicht im Geringsten. Obwohl dies
vom westlichen Standpunkt gesehen sehr viel
unangenehmer
ist, als wenn sich einfach jemand ein Herz
fassen und eine Entscheidung hinsichtlich eines
Planes treffen
würde, sehen die Thailänder dies nicht so - sie
sind vor allem daran interessiert, nicht
derjenige sein zu
wollen, der die Gefühle der Anderen nicht
berücksichtigt. Dieses greeng-jai-Spiel kann für
westliche
Ehemänner extrem nervig sein. Sorge dafür, dass
deine thailändische Partnerin dieses Buch liest.
Vielleicht
wird das ja dazu beitragen, dass sie deine
Gefühle auch berücksichtigt!
Wie werden böse Absichten bestraft?
Diese Präsentation der thailändischen Kultur
hört sich sehr simpel und auf eine “Star
Trek”-mässige Art und
Weise naiv an. Jeder westliche Leser muss
zwangsläufig denken, dass der Missbrauch in
diesem System
vorprogrammiert ist. Wenn es keinen
gesellschaftlichen Mechanismus gibt, der den
Ausgleich von Geben
und Nehmen zwischen Personen regelt, und wenn
die Sitten es verbieten, eine Person zu
konfrontieren, die
kein Naam-jai zeigt, was sollte dann den
Einzelnen davon abhalten, zu nehmen, soviel er
kriegen kann?
Die Antwort ist, dass der gesellschaftliche
Druck, Naam-jai zu zeigen, so stark ist, dass
fast jeder von seinem
eigenen Bedürfnis nach Selbstwertgefühl dazu
getrieben wird. Die Übrigen, die geizig sind
oder Schnorrer
oder Ausbeuter, werden zwar von den anderen
Thailändern bezüglich ihres Verhaltens nicht
konfrontiert, es
tut ihnen aber auch niemand einen Gefallen.
Nichts in der thailändischen Kultur verbietet
es, über diese
Personen und ihren Mangel an Naam-jai privat
oder in aller Öffentlichkeit herzuziehen. Sie
werden sehr bald
keine Freunde mehr haben. Die einzige
nennenswerte Ausnahme hierzu ist, wie schon
weiter oben erwähnt,
dass Kinder auf jeden Fall für ihre Eltern
sorgen müssen, egal ob diese sich ehrenhaft oder
unehrenhaft verhalten.
Die Wahrheit sagen vs. Das Gesicht wahren
Die Wahrheit zu sagen ist auch in Thailand
eine Tugend, aber es ist nicht so wichtig wie
das Gesicht
derjenigen Personen zu schützen, für welche die
Thailänder Respekt oder Sam-nük-bun-khun
empfinden.
Viele Thailänder glauben ganz klar daran, dass
es so etwas wie eine “vornehme Lüge” gibt und
sind dazu in
der Lage, eine solche mit einem Minimum an
Schuldgefühlen auszusprechen, wenn es ihnen oder
jemandem,
dem sie Respekt schulden, dabei hilft, eine
Konfrontation zu vermeiden oder Gefühle zu
verletzen. Darüber
hinaus werden andere Thailänder die Entscheidung
zum Lügen im Allgemeinen respektieren, wenn es
einer
dritten Person hilft, ihr Gesicht zu wahren. Je
nachdem, wo und wie du erzogen wurdest, wird es
dir schwerfallen,
dies in deiner Beziehung zu akzeptieren. Wenn du und dein Partner beide
dieses Buch gelesen habt,
werdet ihr hoffentlich zu einem besseren
Verständnis füreinander finden.
Nach unseren Erfahrungen führen solche Lügen
fast immer zu noch mehr Ärger. Jeder muss jedem
in allen
heiklen Fragen misstrauen. Jeder Mitspieler muss
sich fragen: - “Erzählen die mir das, um jemand
Anderen zu schützen?”
- “Sollte ich ihnen gegenüber greeng-jai sein,
indem so tue, als ob ich ihnen glaube, um
Konfrontation
zu vermeiden und sie nicht in Verlegenheit zu
bringen?” - “Oder haben sie die Wahrheit
gesagt?”
Dies ist der hauptsächliche und vollkommen
gerechtfertigte Grund dafür, dass das
thailändische Leben für
Westler so sehr nach einer Seifenoper aussieht.
Wir verstehen ja, dass jemand, für den das
Wahren des
Gesichtes von Personen, die er respektiert, und
Sam-nük-bun-khun viel bedeutet, sich mir nichts
dir nichts
eine ausgefallene Geschichte ausdenkt, aber für
die Beziehung thailändisch-westlicher Paare sind
solche
Lügen meist eher schädlich als hilfreich.
Es gibt keine Privatsphäre!
Wenn du in Thailand lebst, muss dir klar
sein, dass du dich in einer Gesellschaft
aufhältst, die über
annähernd kein Konzept westlicher Privatsphäre
verfügt. Thailänder stopfen sich in Busse, Züge
und auf die
Ladeflächen von Pick-Ups und Lastwagen, ohne
sich im Geringsten für den persönlichen Raum
Anderer zu
interessieren, und du wirst deiner
thailändischen Familie zweifellos näher kommen,
als du dir das je
gewünscht hast, sobald du an einem ihrer
Familienausflüge teilnimmst. Thailänder glauben
aufrichtig daran,
dass niemand auf der Welt jemals allein sein
möchte. Wenn sie dir nicht rund um die Uhr
“Gesellschaft
leisten”, fühlen sie sich als schlechte
Gastgeber. Deine thailändische Familie wird dich
mit Fragen nach persönlichen
Details wie deinem Alter, deinem Gehalt und
deinem Kontostand regelrecht löchern.
Thailänder sehen solche Fragen nicht als
aufdringlich an. Du kannst höflich erklären,
dass du zu schüchtern bist,
um diese Fragen zu beantworten. In manchen
Fällen (zum Beispiel bei der Frage nach dem
Kontostand)
bemühen sich die Thailänder lediglich darum, dir
die Möglichkeit zu geben, deinen Reichtum und
deinen Status
zur Schau zu stellen. Viele thailändische Männer in deiner Lage würden
diese Gelegenheit zu schätzen wissen.
Eine gebräuchliche und unanstössige Form des
thailändischen Humors ist es, dich mit deiner
Körpergrösse, deinem Gewicht,
deine behaarten Gliedmassen oder deiner grossen Nase aufzuziehen oder
sogar über dich zu lachen, wenn du stolperst und
hinfällst.
Dies soll eigentlich eine beruhigende
Wirkung auf alle Beteiligten haben, auch wenn es
in der westlichen Kultur gewöhnlich d
en entgegengesetzten Effekt bewirkt. Sie lachen
gewissermassen “für dich” und nicht etwa “über
dich”.
Du wirst dich einfach daran gewöhnen müssen.
Vergleich beider Wertesysteme
Von keinem der beiden Systeme kann man
objektiv sagen dass es besser ist als das
andere. Es handelt sich in
beiden Fällen um sich selbst aufrechterhaltende
Systeme, welche die soziale Ordnung
gewährleisten und den
Menschen Zufriedenheit stiften. Wie auch immer,
da du dieses Buch liest, weisst du
wahrscheinlich, dass sie
sich in gemischter Form nicht immer miteinander
vertragen. Jetzt, wo du über die Grundlagen des
thailändischen und des westlichen Wertesystems
verfügst, sollen die verbleibenden Kapitel dir
als
spezifischer Ratgeber und Warnschild in
denjenigen Bereichen dienen, welche tendenziell
die meisten
kulturellen Zusammenstösse zwischen romantisch
involvierten Thailändern und Westlern
generieren.
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